Trauma und Trauer sind seit über 20 Jahren Mittelpunkt meiner Arbeit als Therapeutin.
Ich habe selbst mehrfach komplexes Trauma erlebt und gelernt, trotz und mit all dem erfolgreich zu leben. Ich kenne die Werkzeuge, die Theorien, die Körperübungen, die Regulationsstrategien.
Und dann passiert das Leben manchmal einfach.
Nicht als sanfte Lehrmeisterin – sondern als Tsunami.
Am 30. Juni ist mein ältester Sohn im Alter von 22 Jahren durch einen Badeunfall plötzlich aus dem Leben gerissen worden.
Ich war nicht vorbereitet. Und selbst wenn ich es gewesen wäre –
man kann sich auf so etwas nicht vorbereiten.
🕯️ Wenn das eigene Kind stirbt, hört die Existenz auf, zu existieren
Egal wie sehr man sich mit Trauma und Trauer „auskennt“ – in solchen Momenten steht die Welt still.
Es gibt keinen Halt, keine Theorie, keine Atmung, die das auffängt.
Meine Existenz – so, wie sie war – hat aufgehört, zu existieren.
Und doch bin ich noch da.
Weil ich drei weitere Kinder habe.
Weil mein Körper weiter atmet.
Weil meine Liebe für Joshua bleibt – auch wenn er sie nicht mehr empfangen kann.
💬 Was ist Trauer… wirklich?
Trauer ist die Liebe, die man nicht mehr wie gewohnt teilen kann.
Unsere Existenz ist es gewohnt, auf eine bestimmte Art und Weise diese eine Verbindung zu erleben: Nähe, Gespräche, gemeinsame Routinen, Pläne, Essen, Lachen.
Jetzt ist die Person, die das andere Ende dieser Verbindung hielt, nicht mehr da.
Was bleibt, ist das Echo. Der leere Raum. Die physische Realität des Fehlens.
Der Schmerz der Trauer ist das Unvermögen, all das nun nicht mehr wie gewohnt zu erleben.
Und noch etwas:
Trauer ist auch die Heimatlosigkeit der Variante unserer Selbst, die wir in dieser Verbindung waren.
Ich war Joshuas Mama.
Nicht nur biologisch – sondern in meinem ganzen Sein.
In dieser Verbindung steckte eine ganze Version meines Selbst.
Jetzt ist dieser Anteil orientierungslos.
Und genau deshalb darf Trauer-Arbeit niemals nur kognitiv sein – sie muss den Körper mitnehmen, die Seele halten, das Leben neu verweben.
Ganzheitlich. Und durch erlebte Erfahrung.
🧠 Was passiert bei Trauer im Körper?
Viele unterschätzen, wie physisch real Trauer ist.
Sie ist kein „Gefühl“.
Sie ist ein Ausnahmezustand.
💡Der Körper verarbeitet Verlust wie ein massives Trauma –
denn unser Nervensystem unterscheidet nicht zwischen einem realen physischen Schmerz und dem Schmerz, den das Fehlen von Nähe verursacht.
💥 Hormone & Nervensystem:
- Cortisol (Stresshormon): Schießt hoch – der Körper ist im Dauer-Alarm
- Oxytocin (Bindungshormon): Bricht ab – das Nervensystem fühlt sich „verlassen“
- Dopamin & Serotonin: sinken drastisch – Antriebslosigkeit, Leere, depressive Verstimmungen
😵💫 Körperreaktionen:
- Enge in der Brust, Atemnot → Vagusnerv ist überlastet
- Bauchschmerzen / Magen zieht sich zusammen → Solarplexus = Zentrum für Bindung, Machtlosigkeit
- Kloß im Hals → Schluckzentrum aktiviert durch Weinen, aber unterdrückte Emotionen klemmen
- Körperliche Erschöpfung → Trauer = neurovegetative Überlastun
- Schlafprobleme, inneres Zittern → Dissoziation oder hochgefahrene Schutzmechanismen
- Kopf- und Muskelschmerzen → Spannungsreaktion, emotionale Kompensation
- Appetitlosigkeit → Der Sympathikus (unser Fluchtsystem) schickt das Signal: „Verdauen ist gerade unwichtig. Überleben zählt.“
- Heißhunger, vor allem auf Zucker oder Fett, ist manchmal der Versuch des Körpers → schnelle Energie zu bekommen oder fehlende Glückshormone wie Serotonin und Dopamin auszugleichen.
- Schwäche und Antriebslosigkeit → Der Körper schüttet dauerhaft Cortisol aus (das Stresshormon), was über Tage und Wochen Energie raubt.
- Das Immunsystem wird unterdrückt, der Schlaf wird flach, die Muskeln verspannen – all das erschöpft.
- Das Gehirn schaltet auf Sparmodus, weil alles im Inneren so sehr mit „Verlust verarbeiten“ beschäftigt ist, dass für „normale Aufgaben“ kaum Kapazität bleibt.
- Gedächtnislücken Trauer beansprucht unglaublich viel mentale Energie. Es ist, als würde dein Inneres die ganze Zeit ein hochkomplexes Puzzle zusammensetzen:
- Erinnerungen verschwimmen.
- Namen fallen nicht ein.
- Du vergisst, warum du in den Raum gekommen bist.
- Zeitgefühl bricht zusammen.
- Schmerz im Herzraum → Broken-Heart-Syndrom ist real.
Das Herz fühlt nicht nur symbolisch – es reagiert.
Studien zeigen: Schwere Trauer kann das Herz verformen, Stressreaktionen auslösen, das Immunsystem schwächen und den Körper über Monate in einen Schockzustand versetzen.
Das ist kein Zeichen von Schwäche – sondern von innerem Umbau.
(Bitte anhaltende Symptome IMMER mit einem Arzt besprechen und abchecken lassen, lieber einmal mehr zur Sicherheit)
🧘♀️ Was hilft WIRKLICH?
Aus der Praxis. Für den Alltag. Ohne Maske.
Ich sage es ehrlich:
Viele klassische Therapie-Werkzeuge helfen in dieser Tiefe erstmal nicht.
Was hilft, ist das, was gehalten werden kann, ohne überfordern zu müssen.
Was hilft, ist Verkörperung. Verbindung. Wärme.
Hier ein paar Dinge, die mir – ganz pragmatisch – Halt geben, wenn alles wankt:
🛠 Kleine Alltagsanker (nachhaltige Trauer-Arbeit)
- Berührung: Hand auf Brust oder Bauch, warmes Öl,
- Körper wiegen
- Wärme & leichte Nahrung: warme Getränke, Suppe, nichts Kaltes
- Schaukeln & Summen: beruhigt den Vagusnerv
- Bewegung: sanfte Spaziergänge, Arme schwingen, Wiegebewegung
- Schreiben: Roh. Ohne Ziel. Nur raus damit.
- Rituale: jeden Tag zur selben Uhrzeit kurz an die Verbindung erinnern – bewusst beenden
- Selbstgespräche: „Ich darf trauern. Ich bin da. Ich halte mich.“
- Trauer als Körperzustand anerkennen – nicht nur als Emotion – liebevolle SelbstAnnahme.
🌿 Sanfte natürliche Begleiter die mir helfen
- Magnesium (z. B. Bisglycinat oder als Öl) – beruhigt Muskeln und Nerven
- Baldrian, Passionsblume, Lavendel (Tee oder Tropfen)
- CBD in niedriger Dosierung – bei innerer Unruhe
- Vitamin D, B-Komplex, Omega 3 – Stütze für Nerven & Stimmung
- L-Theanin – bei Übererregung des Nervensystems
- Elektrolyte + kleine, salzige Snacks – für Erdung und Blutdruck
🧭 Was ich anderen sagen möchte
…die gerade in Trauer sind:
- Es muss keinen Sinn machen.
Manchmal ist es einfach nur Überleben. - Du darfst lachen, während du trauerst.
Es macht die Liebe nicht kleiner. - Trauer ist nicht linear.
Es gibt keine Stufen, keine Checkliste.
Es gibt nur Wellen – manchmal Sturm, manchmal Flaute. - Du darfst einen Tag lang nichts essen.
Wenn du genug trinkst und später wiederkommst – es ist okay. - Du bist nicht kaputt.
Du bist nur gerade nicht vollständig. Und das darf sein. - Es darf wehtun. Und du darfst trotzdem weiterleben.
🕊 Und was jetzt?
Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht.
Ich baue mich langsam neu zusammen – aus dem, was übrig ist, und aus dem, was Joshua in mir hinterlassen hat.
Ich gebe dem Anteil, der nur für ihn da war, eine neue Aufgabe.
Nicht um den Schmerz zu löschen – sondern damit er leben darf.
Damit ich leben darf.
Damit die Liebe für ihn weiter einen Ausdruck finden kann.
Ich schreibe.
Ich atme.
Ich erinnere.
Ich bleibe.
Nicht, weil ich verstehe.
Sondern weil ich liebe.
💫 Nachhaltige Trauer-Arbeit beginnt im Alltag – nicht im Kopf
Trauer darf nicht wegerklärt, analysiert oder „durchgearbeitet“ werden.
Sie braucht Raum.
Sie braucht Zuwendung.
Und sie braucht Verkörperung – denn sie sitzt tief im Körper, in den Zellen, in der Stimme, im Atem.
Trauer-Arbeit ist der Versuch, in einem zerbrochenen Leben kleine Inseln zu schaffen, auf denen man wieder kurz sitzen, atmen, sein darf.
Sie ist der sanfte Aufbau eines neuen inneren Zuhauses – für die Person, die du durch den Verlust geworden bist.
Sie ist ein Erinnern daran, dass du leben darfst.
Nicht stattdessen, sondern trotzdem und mit.
🫶 Du darfst das auf deine Art tun.
Laut. Leise. Wild. Still.
Mit Tränen. Mit Wut. Mit Glitzer.
Mit Tagebuch, Gesprächen, Spaziergängen oder einfach mit gar nichts –
außer einem Atemzug nach dem anderen.
Du darfst dir erlauben, unperfekt zu trauern.
Du darfst dir erlauben, eine neue Version von dir selbst zu entdecken –
eine, die nie geplant war,
aber trotzdem deinen Herzschlag trägt.
💌 Für dich, wenn du gerade nichts halten kannst:
Du musst nicht stark sein.
Du musst nicht heilen.
Du darfst einfach da sein.
Und wenn du möchtest – begleite ich dich ein Stück.
Denn ich weiß, wie sich dieser Weg anfühlt.
Und dass ein kleiner Lichtpunkt in dunkler Nacht manchmal schon ein Zuhause sein kann.
Schreib mir:

