(Ich schreibe hier über den Verlust meines ältesten Sohnes, der am 30.06.2025 im Alter von 22 Jahren plötzlich und unerwartet verstorben ist.)
But I’m holding on,
pieces of my soul
to the years I love…
Weil du Teil dieser Jahre warst.
Als ich jung war, habe ich immer gesagt, ich möchte keine Kinder – weil ich solch eine schmerzhafte und traumatische Kindheit hatte und Angst hatte, ich sei so kaputt, dass ich nicht mehr lieben kann.
Ich dachte – so sagte man mir damals –, ich sei dazu verdammt, den Zyklus meiner Familie zu wiederholen. Und ich wollte diese Schmerzen niemandem antun.
Als ich dann unerwartet schwanger mit dir wurde, hatte ich Angst. Furchtbare Angst.
Es war um die 10. Woche, als ich dich das erste Mal sah – wir waren bei einer schrecklichen Frauenärztin, weil alle anderen Aufnahmestopp hatten. Aber ich musste ja sicher sein, ob ich schwanger war oder nicht.
Da saß ich nun, und die Frauenärztin redete irgendetwas – aber ich hörte ihre Worte nicht. Ich sah nur diesen kleinen Fleck, in dem dein Herz am Tanzen war.
Ich weiß es noch, als wäre es gerade passiert – wie eine Welle tiefer Liebe, eine Liebe, die ich bis dahin noch nie gefühlt hatte, mich durchflutete – und ich wusste: alles wird gut.
Aber das Leben hat eben andere Pläne, und wir können immer nur lernen, mit den Karten zu spielen, die es uns gibt – wir können uns eben nicht alle selbst aussuchen.
Denn 22 Jahre später solltest du durch einen dummen und unerklärlichen Badeunfall von mir gehen.
Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist eine große und plötzliche Veränderung, sagt man – aber letztlich ist jede Erklärung hohl und wirkt wie leere Worte.
Am Nachmittag noch miteinander gesprochen.
Die Woche davor war eine der schönsten seit Langem…
Wir haben zusammen gekocht, geplant und gelacht.
Die letzten fünf Jahre waren hart für uns als Familie –
und es schien fast so, als würden wir wieder in einen schönen und vertrauten Rhythmus finden:
einen voller Pläne, Gespräche, gutem Essen, viel Musik, Kunst und philosophischen Gesprächen über Gott und die Welt.
Unsere Familie hat schon immer sehr viel erlebt und unternommen – die letzten Jahre hat es uns rausgehauen, weil wir unser altes Glaubensbild hinter uns gelassen haben.
Diese Jahre waren stürmisch, herausfordernd – aber wir sind nicht daran zerbrochen, wir sind daran gewachsen.Zusammen gewachsen, miteinander gewachsen, jeder für sich und gemeinsam.
Du und ich hatten in den Tagen davor noch Pläne gemacht, wie du deinen Traum verwirklichen kannst: zu reisen und wirksam zu sein.
Du wolltest, dass alle Menschen gleiche Chancen haben, und hast dich sehr über die Ungerechtigkeiten aufgeregt – ich habe dir zugehört und dich verstanden.
Du wolltest etwas tun – ich habe dir zugehört und dir meine Unterstützung angeboten.
Du wolltest nicht nur nehmen.
Du wolltest schaffen, geben, Mehrwert in diese Welt bringen – ich habe dir zugehört, und mein Herz wurde wieder von einer ähnlichen Welle der Liebe durchflutet wie damals, als du 10 Wochen alt warst…
Später haben wir zusammen Semmelknödel aus altem Brot und Brötchen gemacht, weil du Verschwendung gehasst hast.
Ich weiß noch, wie ich innegehalten habe – dich aus dem Augenwinkel beobachtet habe – den Moment ganz tief in mich aufgesogen und ihn auf mich habe wirken lassen.
Am Abend musste ich an ein Erlebnis mit einem unserer Kater, Napoleon, denken.
Eines Tages lief er neben mir her und maunzte mich an –
normalerweise hätte ich ihn dann hochgenommen und mit ihm geschmust…
aber an dem Tag meinte ich, etwas Wichtigeres zu tun zu haben –
ich habe Nappi danach nie wieder gesehen…
und bereue es bis heute, dass ich seiner Bitte damals nicht gefolgt bin.
Daran musste ich denken, Josh.
Und ich weiß noch, dass mir Tränen in die Augen kamen, weil ich Angst hatte, mich zu sehr zu freuen über das wertvolle Erleben mit dir…
Ich weiß noch das innere Selbstgespräch:
„Bianca, freu dich! Lass das Gefühl zu!
Wenn es das letzte Mal gewesen sein soll,
dann hast du heute einen der schönsten Tage seit Langem mit deinem Sohn erlebt…“
Ich habe das Gefühl noch heute in mir.
Und ich bin unendlich dankbar dafür – denn drei Tage später solltest du mein Leben für immer verlassen.
Dich in Worten zu beschreiben ist nicht schwer – nur werden diese Worte für jeden anderen Menschen etwas anderes bedeuten als für mich…
Du hast Worte gehasst.
Weil sie deiner Meinung nach so ungenügend sind, um unsere innere Welt nach außen zu projizieren.
Dennoch hast du manchmal wochenlang damit verbracht, einzelne Worte zu „dissektieren“ und alle etymologischen Wurzeln und Entwicklungen zu studieren.
Ich erinnere mich noch bis heute, wie ich mit staunenden Augen deine Entwicklung beobachtet habe.
Wie du voller Neugierde, aber sehr vorsichtig, die Welt erkundet hast.
Wie du Fragen gestellt hast und ausprobiert hast.
Ich durfte deine kleine wundervolle Welt sein – für eine kleine Weile – und dich dann in diese große Welt begleiten, die dich oft so traurig gemacht hat.
Du warst so voller Ethos, Pathos und Logos – ich habe dir stundenlang zugehört, was du gerade wieder am Recherchieren warst, und voller Neugierde in mich aufgesogen.
Du hast darauf bestanden, mit mir das Spiel Gris zu spielen,
weil es die Phasen der Trauer sehr artistisch umsetzt.
Du hast darauf bestanden, mit mir The Boy and the Heron zu sehen –
weil es um Trauer geht.
Du hast versucht, mich dabei zu unterstützen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen,
weil du wusstest, dass ich mich sehr intensiv damit befasst hatte, nachdem wir unser altes Glaubensbild verlassen haben.
Ich wollte „vorbereitet“ sein – für den Moment, wenn meine Eltern sterben oder meine Tante, die zu uns ziehen wird…
Du hattest Angst, es würde mich zerreißen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie bald ich schon all diese Vorbereitung auf den härtesten Test anwenden würde, den ich mir als Mensch vorstellen kann:
Den Verlust meines Kindes.
Als junger Erwachsener.
Mitten im Leben.
Voller Pläne.
Und im nächsten Moment:
AUS.
Dunkelheit.
Stille.
Ohrenbetäubende Stille.
Als der Notarzt mir die Nachricht überbrachte – ich war ruhig, alles war in Zeitlupe – seine Worte sind irgendwie in mir wie eine Supernova explodiert. Dann hat sich alles wieder zusammengezogen – es wurde dunkel, still. Ohrenbetäudend still. Ich habe durchgeatmet und habe mich dann um deine Geschwister gekümmert…
Dein Kater Sternenschweif, hat Tagelang im Badezimmer neben der Dusche auf dich gewartet.
Ich hab mich zu ihm gesetzt und geschwiegen während in mir alles und nichts war.
Ohrenbetäubende Stille, Blitzlichtgewitter und alle Farben aber in Schwarz, Erinnerungen und Flaschbacks zu dir – freier Fall, Tränen ohne zu weinen – atmen, atmen, atmen …. mehr ging nicht.
Meine Trauer war immer schon sehr leise. Sehr persönlich.
Aber diesmal hatte sie eine andere Farbe…
Nichts, was ich bisher erlebt habe –
und ich habe viele Schmerzen und Verletzungen erlebt –
ist damit vergleichbar.
Ich habe komplexes Trauma erlebt und gemeistert.
Ich habe großes T-Trauma erlebt und gemeistert…
Nein, es hat mich nicht zerrissen.
Ich habe aufgehört zu existieren.
Die Form, die ich vorher hatte – sie existiert so nicht mehr.
Wir sind nicht gebrochen –
wir bestehen immer aus Einzelteilen,
damit wir uns immer wieder neu zusammenbauen können.
Und in solchen Momenten werden wir daran erinnert.
Bisher habe ich diesen Zusammenbauprozess sehr gezielt gesteuert und geleitet – mit Erfolg.
Diesmal mag ich nicht mehr.
Ich will nicht mehr leiten –
ich will wissen, wo du mich hinbringst.
Du hast so viel in mein Leben gebracht.
Ich habe so viel von dir gelernt.
Du hast so viele meiner Gedankengänge angestoßen, beeinflusst, herausgefordert und abgerundet…
Ich bin gespannt, wo mich die verbleibende Liebe für dich hinleiten wird.
Trauer ist vor allem der Schmerz der Liebe,
die wir nicht mehr in gewohnter Art und Weise teilen können.
Trauer ist auch der Schmerz darüber,
dass mein Anteil – der nur durch dich, mit dir und für dich existiert hat –
erst mal heimatlos wurde.
Aber ich bin heimatlos gewohnt.
Ich bin damit aufgewachsen…
Die Suche nach dir in jedem Augenblick meiner Existenz –
alles erinnert mich an dich…
Du hast mich gezähmt,
so wie der kleine Prinz den Fuchs gezähmt hat
und von der Rose gezähmt wurde…
Die Zeit, die wir zusammen verbracht haben.
Die Erlebnisse, die wir gemeinsam hatten.
Die Erinnerungen, die uns verbinden –
sie sind wie ein rosegoldener Faden,
der voller Charms hängt,
der alles verbindet
und am Ende im Nichts verschwindet,
weil du dein Ende nicht mehr hältst…
Aber der Faden selbst verschwindet nicht.
Du wurdest Teil meiner Existenz in dem Moment,
wo ich deinen Herzschlag sah –
und wirst es bleiben,
auch wenn dein Herzschlag jetzt nur noch in meinem Herzen weiter schlägt.
But I’m holding on,
pieces of my soul
to the years I love…
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